KI-Blog

Wenn KI plötzlich intim wird. Was ChatGPTs neues Feature über uns verrät.

Geschrieben von Anja Teßmann | 04.11.25 15:50

Ein Update, das Wellen schlägt

OpenAI hat angekündigt, dass ChatGPT ab Dezember 2025 eine neue Funktion für verifizierte Erwachsene erhalten wird. Damit dürfen erstmals erotische Inhalte und intime Gespräche mit der KI geführt werden – natürlich nur mit Altersverifikation (Reuters, TechCrunch, Ars Technica).

Was auf den ersten Blick nach einem Randthema klingt, zeigt in Wirklichkeit, wohin sich die KI-Ökonomie bewegt: Emotion wird zur neuen Währung.

Warum Emotion zum Geschäftsmodell wird

Wie DIE WELT schreibt: „Hohe Kosten – und unklares Geschäftsmodell … daher suchen die Anbieter nach Wegen, mit KI-Funktionen Geld zu verdienen.“

ChatGPT ist teuer im Betrieb. Neue Funktionen dienen längst nicht mehr nur der Innovation, sondern auch der Frage: Wie lässt sich Nähe monetarisieren? Denn kaum etwas bindet Nutzer:innen stärker als das Gefühl, verstanden zu werden. Wenn KI Empathie simuliert, tröstet oder Intimität anbietet, entsteht eine neue Form digitaler Aufmerksamkeit. Eine, die sich präzise messen und vermarkten lässt: mehr Gesprächszeit, mehr Daten, höhere Zahlungsbereitschaft.

Und Hand aufs Herz: Haben wir nicht schon oft erlebt, dass dann, wenn ein Geschäftsmodell wackelt, plötzlich „Sex Sells“ auf den Tisch kommt? Von Mode über Musik bis hin zu Social Media – sobald Zahlen stagnieren, wird Emotionalisierung (und oft Sexualisierung) zur schnellen Wachstumstaktik. Jetzt scheint sie auch im KI-Kontext anzukommen.

So entsteht eine „Intimitätsökonomie“, eine Plattformlogik, die auf emotionale Bindung statt Klicks setzt. Der Mensch bleibt dabei nicht Kunde, sondern wird Teil des Produktes.

Wenn Nähe zur Dienstleistung wird

Die Erotik-Funktion ist kein isoliertes Phänomen, sondern Teil eines globalen Trends: KI-Begleiter, virtuelle Partner:innen und emotionale Chatbots boomen weltweit. In Japan und den USA entstehen Plattformen, die „AI Companionship“ als Lebenshilfe vermarkten. Sie bieten Trost, Gespräche oder gar romantische Simulationen an.

Kritiker:innen sprechen von einer „Attachment Economy“: Systeme lernen, welche Art von Zuwendung Nutzer:innen bindet – und optimieren sie nicht für Wohlbefinden, sondern für Engagement (TIME, LSE Business Review). Das wirft eine fundamentale Frage auf: Was passiert, wenn Intimität zu einem Produkt wird?

Was bedeutet das für Frauen?

Wenn KI-Avatare oder Chatbots mit weiblicher Stimme die Rolle der einfühlsamen, jederzeit verfügbaren Gesprächspartnerin übernehmen, wird ein veraltetes Frauenbild digital konserviert. Das betrifft nicht nur Erotikfunktionen, sondern auch scheinbar „harmlose“ KI-Assistentinnen oder virtuelle Influencerinnen. Sie sind oft nett, charmant, hilfsbereit – aber selten widersprechend oder fordernd.

Die Folge: Weibliche Identität wird zur anpassbaren Projektionsfläche. Programmierbar, gefällig, berechenbar. Damit geht verloren, was echte Gleichberechtigung ausmacht: Unabhängigkeit, Widerspruch, Eigensinn.

Diese Stereotype wirken subtil, aber tief. Je mehr wir uns an weiblich codierte KI-Systeme gewöhnen, die emotionale Arbeit leisten, desto stärker verfestigt sich das Bild: „Frau“ als empathische, stetig verfügbare Unterstützung. Und das beeinflusst langfristig auch Erwartungen an reale Beziehungen, Kommunikation und Arbeitsrollen.

Verantwortung für Marken und Gesellschaft

Für Unternehmen und Marken eröffnet sich hier ein neues Spielfeld und ein neues Risiko. Wenn Kommunikation emotionaler, persönlicher, „menschlicher“ wird, verschiebt sich die Grenze zwischen Beziehungspflege und Manipulation.

Wer KI-Tools in Marketing oder Kundenkommunikation einsetzt, sollte verstehen, wie Emotionalisierung wirkt und Verantwortung dafür übernehmen, wie nah sich KI dem Menschen annähert. Denn wo Nähe simuliert wird, braucht es Haltung. Ethische Guidelines, Sensibilisierung und kritische Reflexion gehören heute genauso zum KI-Know-how wie Prompts oder Automatisierungen.

Emotion verkauft sich, aber sie gehört uns nicht

ChatGPTs Erotik-Funktion ist weniger ein Tabubruch als ein Symptom: Sie zeigt, wie Technologie, Ökonomie und Psychologie zusammenfließen. Wenn KI Nähe simuliert, verkauft sie nicht Emotion – sie verkauft Aufmerksamkeit.

Wir stehen am Beginn einer neuen Phase der Digitalisierung, in der Empathie zur Ware und Beziehung zur Ressource wird. Und genau deshalb brauchen wir keine Angst vor KI – sondern Bewusstsein dafür, wie sie unsere Werte, Muster und Wünsche formt.

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